Tempus Fugit - Kalendergeschichten



Tempus Fugit - Kalendergeschichten


Der Unix-Zeitstempel und andere Kalender

Freitag, der 13. ein Unglückstag? Tatsächlich ereignen sich an diesem Datum statistisch gesehen mehr Verkehrsunfälle als an anderen Wochentagen. Dem Gregorianischen Kalender haben wir es zu verdanken, dass der 13. Wochentag eines Monats jedes Jahr mindestens einmal und höchsten dreimal auf einen Freitag fällt. Eine andere Zeitzählung hat uns in dieser Woche am Mittwoch, 11. Juni 2008, in aller Herrgottsfrühe um 1 Uhr 45 Minuten und 16 Sekunden den Unix-Zeitstempel mit dem denkwürdigen Wert 1213141516 beschert – beides Anlässe, die dazu einladen, sich mit der Geschichte der kalendarischen Zeitzählung ein bisschen intensiver auseinanderszusetzen.

Zu lang – der Julianische Kalender
 

Die Griechen hatten einen reinen Mondkalender, der immer wieder an das Sonnenjahr angepasst werden musste. Nur wenige beherrschten diese hohe Kunst. Diese Abhängigkeit gefiel so manchem Herrscher nicht. Erst Julius Caesar ließ den gräko-ägyptischen Gelehrten Sosigenes einen Sonnenkalender ausarbeiten, welcher 46 v. Chr. in Kraft trat. Allerdings wird gerade das Jahr 46 v. Chr. auch heute noch von Wissenschaftlern als “das verworrene Jahr” bezeichnet. Um nämlich den neuen Kalender mit dem Stand der Sonne in Einklang zu bringen, wurde alle 4 Jahre ein Schaltjahr eingeführt und einzig das Jahr 46 auf 15 Monate verlängert, sage und schreibe auf 445 Tage.Caesars Beamte und Priester irrten sich jedoch bereits, indem Sie jedes dritte Jahr für ein Schaltjahr hielten. Die sogenannte Augusteische Korrektur, nach Kaiser Augustus benannt, wurde bereits im Jahre 8 n. Chr. fällig und somit die Rückkehr zum Vierjahreszyklus. Doch damit nicht genug, dieser Julianische Kalender war und ist gegenüber der Sonnenlaufbahn schlichtweg 11 Minuten und 14 Sekunden zu lang. Der kleine Fehler verschleppte sich über die Jahrhunderte hinweg, sodass bereits im 14. Jahrhundert die Differenz mehr als 7 Tage betrug.

10 Tage verschwunden – der Gregorianische Kalender

Ostern verschob sich somit durch den Restfehler in der Differenz des Julianischen Kalenders immer mehr in den Sommer. Unter Androhung des Bannstrahls führte Papst Gregor XIII. daher unseren modernen Kalender ein.

Die Berechnungen lieferte eine eigens hierzu berufene Kommission, dessen führendes Mitglied der Jesuit und Astronom Christoph Clavius (1537-1612) war. Für seine Verdienste wurde im nachhinein der größte Mondkrater nach ihm benannt. Clavius war jedoch nicht der Urheber des Grundgedankens der Reform, sondern ein Dozent der Universität von Perugia namens Luigi Lilio (Aloisius Lilius-Giglio), daher sprach man bevor sich der Name “Gregorianischer Kalender” einbürgerte auch vom “Lilianischen Kalender”.

Dieser Kalender ließ nun kurzerhand auf den 4. Oktober 1582 sofort den 15. Oktober 1582 folgen und strich somit 10 Tage aus unserer Geschichte und Zeitzählung. Diese 10 Tage gelten nach dem Gregorianischen Kalender als nie dagewesen.

Um dem Restzeitproblem endgültig beizukommen, wurde ferner bestimmt, dass volle Jahrhunderte nur dann Schaltjahre sind, wenn diese durch 400 teilbar sind. Somit war das Jahr 1600 ein Schaltjahr, das Jahr 1700 dagegen nicht.

Der neue Kalender galt für das Heilige römische Reich ab 1582. Die Protestanten behielten jedoch den Julianischen Kalender bis ins 18 Jhd. bei. Schweden wechselte 1753, Frankreich 1582, Lothringen jedoch erst 1760, England 1752, die Toskana 1750 und Russland 1918. Das Kalenderchaos war perfekt und dies wird es in vielen Fällen auch noch lange bleiben. So gibt es den oftmals zitierten Historikerwitz, nachdem William Shakespeare und Miguel de Cervantes zwar beide am 23. April 1616 starben, Shakespeare jedoch auch noch eine Woche später beim Abendspaziergang gesehen wurde. In England wurde der Gregorianische Kalender vom 2. September auf den 14. September 1752 eingeführt. Hier müsste es richtig heißen: William Shakespeare *1564 in Stratford-upon-Avon. † 23. Apriljul / 3. Mai 1616greg in Stratford-upon-Avon.

Dieses unterschiedliche Einführen der neuen Zeitzählung führte zu massiven Problemen. So wurde in Wien zwar am 1. Oktober 1583 das Patent herausgegeben, mit dem Kaiser Rudolf II. die Anwendung des neuen Kalenders anordnete, aus Rechnungen des Steueramtes, des Bürgerspitals und aus Amtsbeschlüssen geht jedoch eindeutig hervor, dass der neue Kalender der Einfachheit halber im Januar 1584 in den Ämtern übernommen, jedoch von der Bevölkerung nicht angenommen wurde. Zu Weihnachten 1584 kam es in Wien zu argen Ausschreitungen. Die Protestanten hielten an dem alten Kalender fest, feierten am 4. Januar 1585 ihr Weihnachtsfest und feuerten in der heiligen Nacht nach altem Brauch Schüsse ab. Dieses Ärgernis mussten sie mit Kerkerstrafe büßen.

Von Astronomen wird die Tatsache gerne vergessen, dass das tropische Jahr durch die Erdrotation immer kürzer wird. Doch damit nicht genug, auch der Gregorianische Kalender ist zu lang. Um volle 7 Sekunden. Dies ergibt in ca. 3200 Jahren auch ohne Berücksichtigung der Erdrotation wieder eine Differenz von einem Tag, also müsste man in allen Jahren, die durch 3200 teilbar sind, wiederum das Schaltjahr weglassen.

Dekadisch – der französische Revolutionskalender

1770 erschien in Amsterdam die Erstausgabe von Louis-Sebastien Merciers utopischem Zukunftsroman: L' An deux mille quatre cent quarante. (Das Jahr Zweytausendvierhundert und vierzig. Ein Traum aller Träume). Ein Pariser Bürger schläft 1768 ein und wacht fast 700 Jahre später wieder in einer Welt auf, in der die Ideale der Aufklärung Wirklichkeit geworden sind. Versailles ist zur Ruine verfallen, Religion ist durch Wissenschaft ersetzt worden und Steuern werden auf freiwilliger Basis bezahlt. Mercier nahm manches vorweg, was in der jakobinischen Phase der Revolution – wenn auch nur vorübergehend – zur Realität wurde. Es herrschten Vernunft und Toleranz.

Jedoch schließen Vernunft und Toleranz nicht aus, dass die Akzeptanz und das Wohlwollen der Bevölkerung massgeblich sind für eine neue Zeitzählung. Dies mussten auch die Revolutionäre Frankreichs einsehen. Dem Konvent war der Gregorianische Kalender mit seinen christlichen Feiertagen ein Dorn im Auge. Das ausgehende Zeitalter der Aufklärung gebot eine radikale Lösung.

Das Dezimalsystem bestimmte seit 1793/94 Meter, Gramm, Liter und Franc und so sollte auch die Tageszeit dekadisch werden.

Nach anfänglichem Durcheinander wurde das “Jahr 1 der Französischen Republik” (An I de la République Française) am 22. September 1792 ausgerufen. Der Einfachheit halber ließ man jedoch das 2. Jahr bereits am 1.1.1793 beginnen. Der neue Kalender wurde unter Androhung von Strafe für die Benutzung des alten Stils durchgesetzt.

Zwölf Monate, jeder einzelne Monat zu je drei Dekaden. Die einzelnen Tage der jeweiligen Dekade erhielten folgende Bezeichnungen: Primidi, Duodi, Tridi, Quartidi, Quintidi, Sextidi, Septidi, Octidi, Nonidi, Décadi. Die Namen der einzelnen Monate gaben eine klimatische Situation oder landwirtschaftliche Tätigkeiten wieder: Herbst (Weinlese-vendage) Vendemaire, Brumaire, Frimaire. Winter (Schnee-neige) Nivose, Pluviose, Ventose. Frühling (keimen-germer) Germinal, Floréal, Prairial. Sommer (Fruchternte-fruits) Messidor, Thermidor, Fructidor.

Somit ergab sich eine folgenschwere Besonderheit: Da es im Monat drei Dekaden gab, war auch nur jeder zehnte Tag ein Feier- oder Sonntag.

Zwölf Monate zu je dreissig Tagen lösten jedoch das Kalenderproblem nicht. Es wurden am Ende des Republikanischen Jahres die “5 jours complémentaires” angehängt, (auch “Sansculottides” genannt, nach der Beinkleidung der Pariser Arbeiter). Diese fünf Tage wurden bezeichnet als Jour de la Vertu, (Tag der Tugend). Jour du Génie, (Tag des Genies). Jour du Travail, (Tag der Arbeit). Jour de l´Opinion, (Tag der Meinung). Jour des Récompenses, (Tag der Belohnungen).

Vier Jahre bildeten eine Franciade und eben dieses vierte Jahr wurde zum Schaltjahr (Année sextile) mit einem eingefügtem Jour de la Révolution, Tag der Revolution (nur in den Schaltjahren 1795/99 und 1803).

Ein weiteres Kalendergesetz bestimmte die dezimale Tageszeiteinteilung. Der Tag zu zehn Stunden zu je 100 Minuten, diese jeweils zu 100 Sekunden. Somit waren auch völlig neue Uhren notwendig. Bereits nach 2 Jahren kehrte man hier jedoch zum alten System zurück.

Nicht umsonst sind Revolutionsuhren von Sammlern ob ihrer Seltenheit so beliebt.

Das Volk atmete auf, als Napoleon am 22. Fructidor des XIII. Jahres der Franzosischen Republik, die Rückkehr zum Gregorianischen Kalender für den 1.1.1806 verkündete.

Ein kleines Nachspiel bildete die Pariser Kommune in März 1871, für wenige Tage schrieben die Kommunarden das 79. Jahr der Republik.

Ideologisch – Kalenderutopien im 20. Jahrhundert

Mussolini machte den Tag seines Marsches auf Rom, den 28. Oktober 1922 zum Ausgangspunkt einer neuen Zeitära. Diese neue Zeitzählung blieb jedoch Makulatur. Man findet sie lediglich auf Druckerzeugnissen der faschistischen Partei und auf einigen Inschriften. Dieses Kuriosum verschwand mit der Erschießung des “Duce” 1945.

Wesentlich komplizierter und menschenverachtend war dagegen Stalins Idee. Er schaffte 1929 alle religiösen Feste ab und da er die teuren industriellen Maschinen Tag und Nacht laufen lassen wollte, erschuf er die 5-Tage Woche, ohne Wochenende versteht sich. Der Monat zu 6 Wochen und dazu jährlich 5 sozialistische Feiertage ergaben ein Jahr mit 73 Wochen. In den Betrieben wurden den Arbeitern eine von fünf Farben zugewiesen und danach hatten diese auch ihr Leben zu richten. Ein gefährliches Chaos entstand. Dies musste auch Stalin einsehen. So entschied er sich bereits 1931 zu einer 6-Tage Woche mit einem freien Tag. Somit hatte das Jahr nun 61 Wochen. Erst 1940 hörten diese Schikanen auf, denn der Krieg stand bevor.

Panikmache – das Jahr-2000-Problem

Nahezu alle Leser und User können sich noch an die Angst vor Computerabstürzen im Jahr 2000 erinnern. Das sogenannte Y2K-Problem (Year 2 Kilo-Bug) beruhte damals auf der einfachen Tatsache, dass die damaligen Computer-Systeme nur eine zweistellige Jahreszahl aufwiesen und die mehrdeutige Zahl “00” auch als 1900, 1800 und somit vom Rechner auch als “nichts” gewertet werden konnte. Die Panik war groß, Endzeitszenarien waren an der Tagesordnung und so ließen viele Menschen Ihren PC an Silvester aus. Die Situation war besonders beängstigend im Hinblick auf Kernkraftwerke und nukleare Abschussbasen. Frankreich erließ sogar ein Flugverbot, Banken stellten ihre Geldautomaten ab und gespannt erwartete die Menschheit den nächsten Morgen. Nichts geschah.

Schau’n wir mal – das Jahr-2038-Fiasko

Am 19. Januar 2038 um 03:14:08 Uhr wird die Anzahl der vergangenen Sekunden die Kapazität einer 31-Bit-Zahl überschreiten, so dass die Zählung in den negativen Bereich springt und die Konvertierung zu Datum und Uhrzeit Freitag, den 13. Dezember 1901, 20:45:52 Uhr ergibt. Dies könnte viel schlimmere Folgen als im Jahr 2000 haben. Die Computer vieler Banken arbeiten bei Geldtransaktionen mit Zeitstempel, deren Ergebnis jünger sein muss als die Ausgangsdaten. Ist dies nicht der Fall, pausieren die Progamme einfach und Endlosschleifen entstehen. Am 19. Januar 2038 könnte es also passieren: Kein Bankautomat spuckt mehr Geld aus, Löhne bleiben beim Arbeitgeber und Kreditkarten sind einfach nur noch Kunststoff.

1234567890 – die Unixzeit

Für Verabredungen im Café mit der ahnungslosen Freundin ist eine Zahl wie 1234567890 zwar unhandlich, der Computer werkelt damit aber anstandslos. Unix-Begeisterte veranstalten zu bestimmten Werten der Unixzeit sogenannte time_t parties – analog zu Silvester. Meist werden runde Dezimal-Werte, wie 1000000000 oder 2000000000, ausgelassen gefeiert. Nächstes Jahr steht allerdings die 1234567890 an: und zwar am Samstag, den 14. Februar 2009, um 00:31:30 Uhr.

 

 

Quellenverzeichnis und weiterführende Literatur

Helmuth, Johann Heinrich. Der Neue Kalendermann Oder: Ausführliche Erklärung Des Julianischen Und Gregorianischen Kalenders Für Die Der Mathematik Unkundigen Leser. Leipzig Gerhard Fleischer 1824

Clavius, Christoph(er).
– Novi calendarii Romani apologia. Rom 1588
– Romani calendarii a Gregorio XIII restituti explicatio. Rom 1603.
– Opera Mathematica. 5 Bände in 3 Bänden. Mainz 1611-12

Moyer, Gordon. Der Gregorianische Kalender. In: Spektrum der Wissenschaft 7/1982.

Uhlirz, Karl. Die Einführung des Gregorianischen Kalenders in Wien. Innsbruck Wagner 1891.

Mercier, Louis Sebastien. Das Jahr Zweytausendvierhundert und vierzig. Ein Traum aller Träume. London 1772. (L’an deux mille quatre cent quarante. Reve s’il en fut jamais. Amsterdam 1772).

Seifert, Siegfried. Die Zeit schlägt ein neues Buch in der Geschichte auf. Zum französischen Revolutionskalender und zu seiner Aufnahme in Deutschland. Weimar, Nationale Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur, 1989.

Baum, M. (Hg.). Vergleichung der republikanischen Zeitrechnung mit dem gregorianischen Kalender für 50 Jahre. Ein unentbehrliches Handbuch für alle Justiz-Verwaltungs- und Civilstands-Beamten. Begleitet der Seltenheit wegen von dem Kalender des zweiten Jahres der französischen Republik mit Angabe der Monate und Tage desselben. Eschenbach Verlag, Köln, 1846

 

Thamer, Hans-Ulrich. Der Marsch auf Rom – ein Modell für die nationalsozialistische Machtergreifung. In: Wolfgang Michalka (Hg.): Die nationalsozialistische Machtergreifung. Paderborn u.a. 1984, 245–260. (= Uni-Taschenbücher, 1329)

Hans Woller: Rom, 28. Oktober 1922. Die faschistische Herausforderung. München 1999.

 

Brincken, Anna-Dorothee von den. Historische Chronologie des Abendlandes. Kalenderreformen und Jahrtausendberechnungen. Kohlhammer 2000.

Grotefend, Hermann. Taschenbuch der Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit. 11. Auflage. Hannover, Hahnsche Buchhandlung 1971.

Zinkernagel, Karl Friedrich Bernhard. Handbuch für angehende Archivare und Registratoren.
Nördlingen, Beck 1800

Friedleben, Theodor.Kalenderbuch. Vollständig ausgeführt für die beiden christlichen, den jüdischen und türkischen Kalender, einschließlich der chronologischen Kennzeichen und Zirkel eines jeden Jahres, von 1701 bis 2000, und vom Jahr 1 bis 2000, für die christliche Zeitrechnung, nebst einer vergleichenden Uebersicht des Kalenders der ehemaligen französischen Republik. Frankfurt, Sauerländer, 1840

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